Wir kennen zwei Hauptarten der Meditation: die konzentrative Meditation (auch Shamata oder Śamatha oder Shamatha genannt) zur Entwicklung von Fokus und die analytische Meditation (auch Vipassana oder vipaśyanā genannt) zur Entfaltung von Weisheit.

Shamata-Meditation wird auch als Fokus– oder Konzentrationsmeditation bezeichnet. Vipassana ist auch als Einsichtsmeditation zur Entwicklung von Weisheit bekannt. Shamata und Vipassana sind zwei zentrale Praktiken in der buddhistischen Meditationslehre. Obwohl sie unterschiedliche Schwerpunkte und Techniken haben, ergänzen sie sich in der Praxis, um den Geist zu beruhigen und tiefe Einsichten in die Natur der Realität zu fördern.

Shamata und Vipassana kurz erklärt

Shamata zielt darauf ab, den Geist durch fokussierte Aufmerksamkeit zu beruhigen und zu stabilisieren. Das Hauptziel ist es, den „Affen-Geist“ – den unaufhörlich plappernden, ständig ablenkenden Geist – zu zähmen und klaren Fokus zu gewinnen. Das gelingt, indem man beim Meditieren seine Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Meditationsobjekt richtet, z. B. auf den Atem, ein Mantra, ein Bild oder auf den eigenen Geist. So entwickelt man mit der Zeit eine tiefe Konzentration und schließlich geistige Ruhe (Shamata).

Vipassana, im Gegensatz dazu, zielt darauf ab, tiefe Einsichten in die Natur des Geistes, des Selbst und der Realität zu gewinnen. Bei dieser Meditation analysieren die Praktizierenden bestimmte Sachverhalte, Behauptungen oder Annahmen über die Wirklichkeit.

Sie wenden das Gehörte bzw. das Gelernte (= die Theorie) in der Meditation an, um durch schlussfolgernde Erkenntnisse Einsichten über die Natur der Phänomene zu erlangen. So entfalten sie Weisheit. Diese Analyse gelingt jedoch nur, wenn der Geist durch die vorangegangene Shamata-Meditation bereits klar und stabil geworden ist. Denn Unruhe und ständige Ablenkungen verhindern den Fokus und das Verweilen des Geistes auf dem Meditationsobjekt.

Shamata und Vipassana unterstützen sich gegenseitig

Stabilität und Klarheit: Eine gut entwickelte Shamata-Praxis bietet die geistige Stabilität und Ruhe, die notwendig ist, um Erkenntnisse in der Vipassana-Praxis zu gewinnen. Ohne eine solide Grundlage der Konzentration kann es schwierig sein, die flüchtige und subtile Natur der Gedanken und Empfindungen zu bemerken.

Tiefe Einsicht: Ein ruhiger und fokussierter Geist, entwickelt durch Shamata, ist gut dafür gerüstet, die Einsichten, die durch Vipassana entstehen, zu integrieren. Diese Einsichten helfen, Anhaftungen zu lösen, was wiederum die Konzentrationsfähigkeit in der Shamata-Praxis verbessert.

Gleichgewicht: Zu viel Konzentration ohne Einsicht kann zu einem Zustand der Trance oder der geistigen Absorption ohne wirklichen spirituellen Fortschritt führen. Umgekehrt kann zu viel Betonung auf Einsicht ohne ausreichende Konzentration zu geistiger Zerstreutheit führen. Die Kombination beider Praktiken hilft, ein Gleichgewicht zwischen Fokus und Einsicht zu finden.

Zusammengefasst ergänzen sich Shamata und Vipassana, indem sie sowohl die Fähigkeit zur Konzentration als auch zur tiefen Einsicht fördern. Beide sind notwendig, um den Pfad der Befreiung und Erleuchtung zu beschreiten.

Fokus-Meditation ist – von außen betrachtet – langweilig

Bei der konzentrativen oder Shamata-Meditation trainierst du die Einspitzigkeit des Geistes. Dabei ist ein Teil deines Bewusstseins – deine Konzentrationskraft – wie ein kraftvoller Energiestrahl, der das Meditationsobjekt umschließt und alles Unnötige ignoriert. Du übst das Loslassen und machst deinen geistigen Fokus-Muskel stark, stabil und gefügig. 

Zu Beginn ist das Training für viele spannend und aufregend. Wir kennen ja unsere eigenen Schwächen und setzen daher große Erwartungen ins Meditationstraining. Doch bald schon wird es langweilig, obwohl wir bereits nach einigen Tagen der Praxis positive Veränderungen erfahren.

Es wird fad, weil’s halt immer gleich abläuft – auch wenn die Erfahrungen und Erlebnisse jedes Mal anders sind und mit fortschreitender Übung immer tiefer und bewegender werden. Und es ist – vor allem zu Beginn – ziemlich anstrengend. Die Zähmung des eigenen Geistes ist kein Kindergeburtstag 😉

Der Geist wandert, er sucht die Ablenkung

Unser Bewusstsein ist neugierig und wandert mit großer Begeisterung zu attraktiven Objekten im Außen. Das geschieht in Millisekunden. Zu Beginn kriegen wir das gar nicht mit. Wir tun uns schwer, beim Meditationsobjekt zu bleiben und hüpfen zum Geräusch, das wir in der Ferne hören. Oder wir erinnern uns daran, dass wir noch eine Freundin anrufen wollten. All diese Ablenkungen poppen während der Meditation auf, und wir folgen ihnen bereitwillig und vor allem aus Gewohnheit.

Durch Handy & Co haben wir uns so sehr an oberflächliche Abwechslungen und ständige Animationen gewöhnt und streben fast stündlich nach Neuem. Dabei bedeutet gerade das Dranbleiben, das Immer-Wieder-Üben einen enormen Tiefgang und öffnet ungeahnte Möglichkeiten. 

Denn nur die Regelmäßigkeit der Übungspraxis lässt unseren Geist schließlich zu einem kraftvollen, starken und stabilen Werkzeug werden, das wir nach Belieben einsetzen können. Und die Nebenwirkungen dieser Übungen sind vor allem innere Freude, Humor und Gelassenheit. 

Obwohl die Meditationspraxis selbst ziemlich einfach ist: “Sitze bequem und aufrecht, entspanne Körper und Geist, lenke deine Aufmerksamkeit auf das Meditationsobjekt und verweile dabei.”,  können doch viele Hindernisse den Weg erschweren.

Das Wissen und die Erfahrung, dass Schwierigkeiten und manchmal auch schmerzhafte Erfahrungen uns nicht aus der Bahn werfen, sondern uns mutiger und stärker machen, unterstützt das Dranbleiben.

Vipassana – die analytische Meditation

Bei der analytischen (oder Einsichts-) Meditation hast du bereits deine Konzentrationsfähigkeit (z.B. durch die Shamata-Praxis) gestärkt und kannst mit deinem klaren und stabilen Geist bestimmte Sachverhalte analysieren. Da die Ablenkungen nicht mehr so stark sind, kannst du intensiver ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und untersuchen. 

In der buddhistischen Tradition betrachten wir beispielsweise das Wesen der Unbeständigkeit. Diese wird definiert als Augenblicklichkeit. Was bedeutet dies genau? Können wir diese Augenblicklichkeit direkt, unmittelbar erfahren oder können wir uns ihr nur über schlussfolgerndes Denken annähern? 

Klingt das philosophisch und weltfremd? Das ist es keineswegs. Denn es betrifft unser wirkliches Leben, ganz konkret, abseits von Social Media. Unbeständigkeit bedeutet Veränderung von Moment zu Moment. Vom Moment der Empfängnis bis zum Tod ist das einzig Beständige die Veränderung. Wir altern mit jedem Moment. Unaufhörlich und unaufhaltbar. Mach’ dir dies einmal bewusst. 

Unbeständigkeit – die Uhr tickt

Seit dem Tod meines Vaters ist seine alte Wanduhr in meinem Arbeitszimmer. Sie tickt unaufhörlich im Sekundentakt. Meist höre ich sie gar nicht mehr. Doch mehrmals am Tag nehme ich diese Schläge bewusst wahr. So auch jetzt. 

Sie erinnern mich an die Vergänglichkeit – tak, tak, tak, tak. 

Tak – wieder ist eine Sekunde vergangen, tak – und wieder, tak – und wieder. Diese eine Sekunde ist für immer vorbei. Unwiederbringlich. Das Gleiche gilt für unsere Lebensuhr: wir können sie nicht anhalten und auch nicht zurückstellen. Jede Sekunde bedeutet eine Sekunde näher am Lebensende. Das ist die Realität. Meditation zeigt uns diese Realität auf, ohne Schönreden und ohne Wischi-Waschi Ansagen. 

Durch Kontemplation bzw. analytische Meditation auf die Unbeständigkeit können wir diese Wahrheit erkennen und uns bewusst machen. Das Abstrakte wird eine konkrete Erfahrung.

Wo ist das Ich?

Eine andere zentrale buddhistische Praxis der analytischen Meditation ist das Erkennen des Nicht-Selbst. Dabei wollen wir die wahre Bestehensweise unseres Ichs, das wir häufig viel zu wichtig nehmen, erkennen. Der große tibetische Meister Je Lama Tsongkhapa empfiehlt, die analytische Meditation mit der Suche nach dem Ich oder Selbst zu beginnen. Dabei versuchen wir zu erfahren, wie uns dieses Ich erscheint.

Das geht laut Je Tsongkhapa am besten, wenn wir aufgewühlt sind – im negativen wie im positiven Sinne. Denn wenn wir uns ärgern oder wenn wir besonders gelobt werden, dann bläht sich dieses vermeintliche Ich ganz besonders auf. In solchen Momenten sollten wir innehalten und beobachten, wie es uns erscheint.

Dann sollten wir mit gültiger Erkenntnis feststellen, dass – wenn dieses Ich tatsächlich existiert – es nur innerhalb oder außerhalb unserer Körper-Geist-Anhäufung existieren kann. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.

Und nun sollten wir weiter kontemplieren und untersuchen, ob dieses Ich innerhalb oder außerhalb von Körper und Geist existiert: Ist dieses Ich identisch mit Körper und Geist oder nicht? Und: Welche Konsequenz hat die jeweilige Annahme?

Durch gründliche Untersuchung, können wir gemäß der Lehre schließlich erkennen, dass dieses Ich in reiner Abhängigkeit und als “bloße Benennung auf Basis der Aggregate von Körper und Geist” existiert. Das wäre ein echter Befreiungsschlag. Wir könnten Vieles loslassen und unser Leben bedeutungsvoller machen. 

Wer dies erkennt, wird achtsam

Der große buddhistische Meister Nagarjuna sagte zur Erkenntnis es Abhängigen Entstehens bzw. des Nicht-Selbst: Wer dies erkennt, wird achtsam. “Achtsam” bedeutet in diesem Zusammenhang “gewissenhaft”, “sorgfältig”. Der Originalbegriff lautet apramāda (Sanskrit) bzw. bag yod po (Tib.), nicht zu verwechseln mit smṛti, (Skt. für Achtsamkeit), was so viel wie “Vergegenwärtigung” oder “Erinnerungsfähigkeit” bedeutet und ein wichtiger und unterstützender Geistesfaktor bei Shamata-Meditation ist.

Der hier in diesem Zusammenhang verwendete Begriff “achtsam” (apramāda) bedeutet , den Geist behüten und beschützen, ihn zu trainieren und das Heilsame zu verwirklichen. Dadurch wird die Macht der destruktiven Emotionen, wie Hass, Begierde, Verblendung usw. schwächer und mit fortschreitender Übung schließlich vollkommen beseitigt. Denn durch die Einsicht in das Nicht-Selbst erkennt man auch den Zusammenhang – das Abhängigkeitsverhältnis – zwischen negativen Handlungen und Leiden.

Der große Zen-Meister Thich Nhat Hanh erklärte das Nicht-Selbst oft so (frei aus meiner Erinnerung): Betrachte eine Blume. Suche die Blume in der Blume. Du wirst erkennen, dass die Blume aus lauter Nicht-Blume Elementen besteht. Du wirst in der Blume den Regen, die Sonne, die Erde, deine Gedanken, ja das gesamte Universum finden. Nur nicht die Blume. Und wenn du nur einen Teil aus dieser Blume wegnimmst, zum Beispiel die Sonne, dann kollabiert das gesamte Universum.

Ich lade dich ein, über diese Aussage zu meditieren! 

Oder eine andere Meditationsübung: Das Ich besteht aus lauter Nicht-Ich-Elementen. Suche nach deinem Ich im Körper. Finde dein Ich in deinem Geist! Ist dein Ich vielleicht außerhalb von Körper und Geist? Viel Glück 😂

Analytische Meditation im Alltag

Auch im ganz normalen weltlichen Alltag sind unsere analytischen Fähigkeiten von großem Nutzen. Wir können etwa Aussagen und Behauptungen von PolitikerInnen und Meinungsmachern hinterfragen. Vielleicht erkennen wir ideologische Verzerrungen und Verblendungen oder auch Einseitigkeit und Manipulation.

Meditieren hat immense Vorteile. Sie macht uns frei im Denken und Handeln. Wir streben nicht (mehr) nach Zustimmung und Applaus von außen. In Bezug auf unsere ethischen Prinzipien, die wir durch gründliches Nachdenken und Meditation verinnerlicht haben, sind wir stabil und unerschütterlich. Wir können verschiedene Seiten und Meinungen ohne Angst und Unsicherheit hören und akzeptieren, ohne ihnen zuzustimmen. Aber auch ohne zu glauben, Spott und Zynismus gegen Andersdenkende einsetzen zu müssen.

Diese Freiheit stärkt den Boden unter unseren Füßen. Wir sind verwurzelt, haben eine starke, unerschütterliche Basis und können gleichzeitig nach oben streben und die unendliche Weite der spirituellen Dimension erfahren. 

Viel Freude beim Üben – ich freue mich über deine Erfahrungsberichte 😊 🌸 💫

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