„Mach du nur, ich habe volles Vertrauen in dich!”, diesen Satz habe ich während meines Angestelltenlebens öfter gehört. Du kennst das sicherlich auch. Doch was bedeutet das eigentlich? Kann man ohne Vertrauen leben? Ich glaube, ganz ohne Vertrauen geht’s gar nicht. Und ein Leben mit wenig Vertrauen ist kein glückliches – es ist wohl dürftig, karg und voller Zweifel.

Vertrauen ist die Basis für ein gutes Leben

Vertrauen spielt im Leben eine sehr wichtige Rolle. Ich behaupte, es ist DIE Grundlage für ein erfülltes und glückliches Leben. Wir brauchen Vertrauen, um überhaupt lernen und uns weiterentwickeln zu können. 

In jeder Gemeinschaft, ob spirituell oder weltlich, ob beruflich oder privat und ganz allgemein im Leben und in der Gesellschaft ist Vertrauen die Grundlage für ein gutes Miteinander, für Erfolg und Zufriedenheit.

Dabei kann Vertrauen verschiedene Bezugspunkte haben, nämlich…

  • in andere Lebewesen – in Menschen und Tiere,
  • in uns selbst – in unsere eigenen Stärken und Fähigkeiten (Selbst-Vertrauen) und
  • in Objekte, Ideen und Situationen.

Urvertrauen

Unsere Fähigkeit, anderen Vertrauen zu schenken, entsteht in der Kindheit. Hier entwickelt sich das sog. Grund- bzw. Ur-Vertrauen: Unter Urvertrauen versteht man in der Psychologie jene innere emotionale Sicherheit, die ein Kind in den ersten Lebensmonaten entwickelt, d. h., das Kind entwickelt das positive Grundgefühl, dass es Menschen vertrauen kann, dass diese ihm wohlgesonnen und verlässlich sind. Das Urvertrauen entsteht also im Wesentlichen aus der positiven Erfahrung, dass zwischen der Welt und den persönlichen Bedürfnissen Übereinstimmung herrscht. In dieser Phase entsteht eine Grundhaltung, die sich durch das ganze weite Leben zieht. (Stangl, W., 2023, 6. Mai, Urvertrauen – Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.).

Diese Grunderfahrungen in der frühesten Kindheit prägen die Vertrauensfähigkeit von Jugendlichen und Erwachsenen. Hat jemand wenig Vertrauen, so kann er/sie diese durch entsprechende Erfahrungen und Analysen entwickeln und stärken. Denn Vertrauen ist eine mentale Fähigkeit, die durch spezifische Bedingungen hervorgerufen und auch trainiert werden kann. Es ist also nie zu spät, Vertrauen aufzubauen und zu entfalten 🙂

Wie definieren wir Vertrauen?

Wir alle kennen und verstehen das Wort Vertrauen. Manche spüren es sogar körperlich. Aber wenn ich dich frage: „Wie würdest du das Wort Vertrauen definieren, wie würdest du es beschreiben?“, dann könntest du vielleicht gar nicht so schnell antworten und müsstest einige Minuten nachdenken.

Beim Recherchieren habe ich herausgefunden, dass es außer für Ur-Vertrauen keine einheitliche wissenschaftliche Definition gibt. Am Ende des Textes findest du zusammengefasst drei theoretische Ansätze dazu.

Wenn ich über Begriffe, die Bewusstseinszustände beschreiben, nachdenke, dann schlage ich gerne in den klassischen Schriften der buddhistischen Psychologie nach.

Und da lese ich folgendes: Vertrauen ist die Überzeugung (…) in Bezug auf den Besitz von Vorzügen und in Bezug auf Fähigkeiten. Es hat die Funktion, als Basis für Anstreben zu dienen.Vertrauen entsteht, wenn wir die [tatsächlich vorhandenen] Vorzüge einer Person oder eines Objekts erkennen.

Vertrauen ist also das Erkennen von positiven Qualitäten, das Sehen von tatsächlich vorhandenen Vorzügen. Wow. So einfach, so klar und doch so tiefgründig.

Diese Definition ist im Kontext der religiösen Lehre und Praxis entstanden. Ich überlege und prüfe also, ob und in welcher Form solche Konzepte auch im ganz normalen Alltag hilfreich und verständlich sind. Also schauen wir mal…

Tanzen und Singen lernen

Betrachten wir eine alltägliche Situation. Ich will zum Beispiel singen oder tanzen lernen. Also suche ich eine Person, die diese Fähigkeiten hat. Ich prüfe – so gut es mir möglich ist – ihre Qualitäten in Bezug auf Singen oder Tanzen. Schließlich komme ich zum Schluss: Okay, diese Person kann das. Sie scheint eine für mich geeignete Lehrperson zu sein. Ich erkenne die von mir gewünschten Fähigkeiten als tatsächlich vorhandene Vorzüge

Nun folgt der nächste Schritt: Ich bitte diese Person, mich zu lehren. Sie stimmt zu.

Das Training startet. Ich vertraue darauf, dass diese Person nicht nur gut tanzen oder singen kann, sondern dass sie auch geeignete Methoden kennt, um in mir die gewünschten Sing- oder Tanz-Fähigkeiten entstehen zu lassen. Und weil in mir dieses Vertrauen vorhanden ist, werde ich auch den Anweisungen dieser Person folgen. Auch wenn ich diese Person (noch) gar nicht gut kenne. Ich gebe ihr quasi Vorschusslorbeeren. 

Je stärker mein anfängliches Vertrauen ist, desto schneller werde ich Fortschritte machen und mein Ziel erreichen. Je schwächer es ist und je größer meine Zweifel sind, desto mehr Hindernisse werden meinen Weg mit Stolpersteinen pflastern. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, wie gut die Lehrperson tatsächlich ist.

Im besten Fall gilt: Je besser und intensiver sich die weitere Zusammenarbeit entwickelt und Fortschritte sichtbar werden, desto stärker und gefestigter wird sich das Vertrauen gestalten.

Wir sehen klar: Vertrauen ist eine wichtiges Voraussetzung fürs Lernen.

Vertrauen in der Partnerschaft

In einer Partnerschaft vertrauen die Partner darauf, dass die (einst) gegebenen Versprechen, also die positiven Qualitäten, wie z.B. Ehrlichkeit, Offenheit, wertschätzende Kommunikation usw., auch gelebt werden. Tatsächlich bleibt hier Vieles oft unausgesprochen und in der Wolke der Erwartungen, was langfristig zu einem Emotionsstau und zu Konflikten führt.

Vertrauen in einer Partnerschaft entsteht und wird gefestigt, wenn sich beide Partner darauf verlassen (können), dass die gegebenen Versprechen bzw. erwartete Verhaltensweisen die Beziehung prägen und immer wieder erneuert werden. 

Selbstvertrauen

Selbst-Vertrauen bedeutet nach dieser Definition Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in die tatsächlich vorhandenen Vorzüge zu besitzen. Es ist enorm wichtig, die eigenen Fähigkeiten und Vorzüge zu sehen und sie anzuerkennen. Denn, wenn ich weiß, was ich wirklich kann und was ich liebe, dann ist es auch leichter, NEIN zu sagen. So kann ich meinen Weg bestimmen und meine Ziele klar sehen. Ich kenne meine JAs und meine NEINs. Ich gewinne Gestalt und werde eine Person mit Konturen, sichtbar für andere.

Es gibt die unterschiedlichsten Fähigkeiten und Qualitäten, wahrscheinlich so viele, wie es Menschen gibt und noch mehr, wie z.B.:

  • Kenntnisse in einem speziellen Wissensgebiet sein, z.B. Weltraumforschung oder Pflanzenwissen: wofür kann der Giersch verwendet werden?
  • spezielle körperliche Fähigkeiten, z.B. im Handstand stehen oder Schifahren; 
  • soziale und kommunikative Fähigkeiten, z.B. Teams so leiten, dass eine offene Gesprächskultur besteht, in der alle Teammitglieder ihre Aufgaben erfolgreich erledigen;
  • kreative, künstlerische Fähigkeiten, wie z.B. Kochen, Schreiben usw. 
  • emotionale Fähigkeiten, z.B. entspannt und optimistisch leben und Problemen offen begegnen können;
  • uvm.

Welche Fähigkeiten und Qualitäten hast du? Welche drei Vorzüge, die dich auszeichnen, fallen dir spontan ein? Nimm ein Blatt Papier und beschreibe drei Fähigkeiten so genau und so konkret wie möglich. Du hast genau drei Minuten Zeit 🙂

Vertrauen im Alltag

Kommen wir auf den oben geschriebenen Satz „Mach du nur, ich habe volles Vertrauen in dich!”, zurück. Auch hier ist implizit gemeint, dass die angesprochene Person spezielle Fähigkeiten und persönlichen Qualitäten besitzt. Es kann bedeuten: Du bist verlässlich., oder: Du bist ehrlich., oder: Du bist verantwortungsbewusst., oder: Du besitzt die emotionale Stärke für diese Aufgabe., oder: Du bist Expertin auf einem bestimmten Gebiet“, uvm.

Umgekehrt ist es so, wenn uns jemand einmal angelogen oder betrogen hat oder eine Aufgabe nicht verlässlich erledigt hat, dann verlieren wir unser Vertrauen in diese Person. Und es ist äußerst schwierig, ein einmal verlorenes Vertrauen wieder herzustellen. Vertrauen verwandelt sich in Misstrauen, in Zweifel.

Der Baum

Es gibt tausende, ja Millionen von Fähigkeiten und Qualitäten. Manche sind herausragend, die meisten sind alltäglich. Meistens ist uns gar nicht bewusst, welche wunderbaren Qualitäten und Fähigkeiten wir selbst besitzen.

Die Fähigkeit, jeden Morgen mit einem Lächeln aufzuwachen und sich auf den Tag zu freuen, ist meines Erachtens eine wunderbare und herausragende Fähigkeit 🙂

Ich erinnere mich an eine Geschichte aus Plum Village. Nach einem Vortrag von Thay (Thich Nhat Hanh) meldete sich eine Retreatteilnehmerin zu Wort: Sie war Mutter von drei Kindern und hatte nach ihrem Schulabschluss keinen formalen Beruf erlernt. Einige ihrer Freundinnen lernten tolle Berufe, studierten an der Uni und machten Karriere. Sie selbst war Zeit ihres Lebens für die Kinder und für die Familie da und engagierte sich ehrenamtlich in ihrem Dorf. Sie hatte viele Freunde, ein erfülltes Leben und war meistens glücklich. Dennoch fühlte sie sich manchmal wertlos, weil sie eben keinen „richtigen“ Beruf hatte.

Thay fand immer die richtigen Worte für jede Person und sagte sinngemäß: Siehst du den Baum da draußen, ist er nicht wunderschön? Im Frühling, wenn er nach der Winterruhe erwacht, erfreuen wir uns an seinen hellgrünen Trieben. Im Sommer können viele von uns im Schatten seiner ausladenden Krone sitzen. Wenn wir ihn berühren und ihn umarmen, fühlen wir seine Kraft und seine Energie. Und im Herbst beschenkt er uns reich mit seinen Früchten. Oh, welche Freude uns dieser Baum doch schenkt!

Dann sagte er wörtlich: And the tree has no diploma. (Und der Baum hat kein Diplom.)

Theoretische Ansätze zu Vertrauen

Entwicklungspsychologie (Erikson 1953): Erikson sieht die Form der frühkindlichen Mutter-Kind-Beziehung als Grundlage für die Herausbildung von Ur-Vertrauen und damit als Grundlage einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung an.

Soziale Lerntheorie (Rotter 1967): Vertrauen ist die Erwartung einer Person, sich auf die Aussagen anderer Individuen oder Gruppen verlassen zu können. hier wird zwischen generalisiertem und spezifischem Vertrauen unterschieden.  Spezifisches Vertrauen bezieht sich auf Erfahrungen mit konkreten Situationen oder Personen. Generalisiertes Vertrauen entwickelt sich im Laufe der Zeit aufgrund von Erfahrungen in verschiedenen Kontexten. Dieses wird dann zu verallgemeinerten Erwartungshaltungen in Bezug auf Personen oder Sachverhalten.

Soziologie – funktionalistischer Ansatz von Luhmann (1973):  “Vertrauen kommt durch ein Überziehen vorhandener Informationen zustande und dient der Reduktion von Komplexität. Der Mensch – als informationsverarbeitendes Wesen – kann nur handlungsfähig werden, wenn es ihm gelingt, angemessene Formen der Informationsreduktion zu entwickeln. Dies geschieht, indem äußere Unsicherheiten durch systeminterne Reduktionsmechanismen ersetzt werden. Damit ist Vertrauen zwar immer eine risikoreiche Vorleistung, da es auch Kontrollverzicht bedeutet und zu Enttäuschungen führen kann. Eine Ausweitung von Vertrauen bedeutet aber auch eine Ausweitung von Handlungsmöglichkeiten. Luhmann unterscheidet zwischen Vertrauen und Zutrauen bzw. Systemvertrauen. Interpersonales Vertrauen beruht auf persönlichen Erfahrungen in der Interaktion. Systemvertrauen hingegen repräsentiert ein Zutrauen in die Verlässlichkeit historisch entwickelter sozialer Interaktionsmuster und Konventionen. Systemvertrauen stabilisiert den sozialen Zusammenhalt in komplexen Systemen.”

Literatur
Erikson, E.H. (1953). Wachstum und Krisen der gesunden Persönlichkeit. Stuttgart: Klett.
Luhmann, N. (1989). Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart: Enke
Rotter, J.B. (1967). A new scale for the measurement of interpersonal trust. American Psychologist, 35, 1-7.

Quelle: spektrum.de – Lexikon der Psychologie

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